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24.06.2011 Charleston – Nördlich der Calhoun Street

Während unserem langen Aufenthalt im Noveber letzten Jahres und aktuell im Juni diesen Jahres sind wir fast ein wenig heimisch in Charleston geworden. Die vielen Streifzüge mit den Fahrrädern und die vielen Kontakte und Freundschaften zu “echten Südstaatlern” haben uns einen tiefen Einblick in das heutige und vergangene Leben auf den Straßen von Charleston gegeben. Auf der gesamten Halbinsel, dem Ursprung von Charleston, ist die Architektur der Häuser und Villen, der Straßen und Plätze sowie der vielen Parkanlagen beeindruckend. Es gibt keinen Stadtteil in dem wir nicht unsere speziellen “lieblings” Häuser oder Plätze haben. Dabei sind uns einige interessante Unterschiede und Entwicklungen aufgefallen oder von “Locals” erzählt worden…

Prächtiges Stadthaus mit Garten

Nördlich der Calhoun Street ändert sich das Bild des eleganten, restaurierten Charlestons. Noch zu Zeiten von Porgy und Bess (1870) hatten Schwarze und Weiße in Charleston wie in keiner anderen Stadt der USA in gemischten Quartieren und Häusern zusammengelebt. Die Restaurierung der Altstadt trennte dann aber die Rassen. Nach dem zweiten Weltkrieg konnten sich die Villen und Häuser der Altstadt nur noch wohlhabende Weiße leisten. Die schwarzen Charlestonians wurden in die nördlichen Stadtteile zurückgedrängt. Aber auch hier beginnen schon Renovierungen, der weiße Wohlstand breitet sich aus. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Ärmeren der schwarzen Bevölkerung von der Halbinsel vertrieben sind.

Ein weiteres stattliches Haus im Süden von Charleston
Ein weiteres stattliches Haus im Süden von Charleston

Anthony Ashley Cooper gründete Charleston 1670 unter König Charles II. von England. Die Verfassung der neuen Kolonie Carolina stammte vom Philosophen John Locke. In der Verfassung war die Glaubensfreiheit festgeschrieben, und zwar nicht nur für Christen, sondern auch für Indianer, Heiden und Juden. Toleranz, Offenheit und eine lockere Moral prägten Charleston in seiner frühen Geschichte.

Charlestons erste Siedler stammten von Barbados. Ausgelaugte Böden und sinkende Plantagenerträge trieben die englischen Pflanzer von der Antilleninsel auf die Suche nach neuem Land. An der Küste South Carolinas fanden sie reiche Böden und dieselben klimatischen Bedingungen wie auf Barbados. Das Charles Town des 17. und 18. Jahrhunderts widerspiegelte in mancher Beziehung die koloniale Kultur der Antillen. Von den Antillen stammte auch das Single House mit seiner schmalen, der Straße zugewandten Fassade und der seitlichen Veranda über dem Garten, das in Charleston noch heute anzutreffen ist. Von Barbados brachten die Siedler aber auch die Sklaverei ins Land und den ersten Slave Code, das Gesetz, das Besitz und Haltung und damit die Lebensbedingungen der Sklaven regelte.

Das Aiken-Rhett Haus (heute Museum)
Das Aiken-Rhett Haus (heute Museum)

 

Mit 1200 Einwohnern war Charleston 1690 hinter New York, Boston, Philadelphia und Newport die fünftgrößte Stadt auf dem nordamerikanischen Kontinent, beherrscht von Kaufleuten und Händlern. Das gesellschaftliche Ideal war sich die Zeit mit Jagen, Reiten, Spielen, Tanzen und Schürzenjägerei zu vertreiben. Große Ländereien, große Landhäuser und eine Schar Bediensteter gehörten zu diesem kolonialen Traum – Reis und Indigo ließen ihn für manchen Schmalzhändler Wirklichkeit werden. Die Sklavenwirtschaft war es, die Reis zum großen Geschäft machte. Die westafrikanischen Sklaven beherrschten die Technik des Reisanbaus und der Reisverarbeitung, möglicherweise hatten sie den Reis sogar in die Neue Welt gebracht. Während eines wahren Reisbooms entstanden am Anfang des 18. Jahrhunderts in der Küstenebene um Charleston Dutzende von Reisplantagen. Manche der neuen Reisbarone lebten das Stadtleben des Kaufmanns weiter. Die meisten ließen sich jedoch auf der Plantage nieder. Im Herrenhaus verbrachten sie Winter und Frühjahr. Von Mai bis Dezember lebten sie, um der Malaria und dem Gelbfieber zu entgehen, in ihren Stadthäusern.

Die Sklaverei prägte die Mentalität der weißen Führungsschicht in der Kolonie. Der Pflanzer war absoluter Herrscher über seinen Grundbesitz und Herr über Leben und Tod der Menschen, die für ihn arbeiteten.  Mit den Mitgliedern der Regierung und der Gerichte waren die meisten Pflanzer verschwägert oder befreundet. Kaum eine Gruppe oder Klasse in der Geschichte der Vereinigten Staaten beherrschte eine Stadt und eine Kolonie so absolut wie Charlestons Elite.

Einfache Häuser im Norden Charlestons
Einfache Häuser im Norden Charlestons...

Die gesamte Wirtschaft Charlestons beruhte auf Sklavenarbeit. Feldsklaven rodeten Wälder, legten Sümpfe trocken, bauten Straßen, Häuser, Boote. Sie jagten. fischten, pflanzten und ernteten. Sie versorgten das Vieh und wußten mit Schlangen, Haien und Alligatoren umzugehen. 1848 arbeiteten in Charleston 3384 schwarze Frauen und 1886 Männer als Haussklaven, 68 als Maurer, 120 als Zimmerleute, 40 als Schmiede. 39 als Bäcker, 36 als Schneider, 67 als Fuhrleute, 50 als Lotsen und Matrosen. Maler, Schiffsbauer, Kupferschmiede, Möbelschreiner, Buchbinder, Drucker, Schuhmacher, Waffenschmiede – das Handwerk war fest in schwarzen Händen und blieb es bis nach dem Bürgerkrieg, als weiße Handwerker die nunmehr freien schwarzen aus dem Gewerbe verdrängten.

... teilweise recht baufällig...
... teilweise recht baufällig...

Statt in Gewerbe- und Industriebetriebe investierten die Pflanzer lieber in Sklaven und Boden und versäumten es so, die Grundlage für eine ein heimische Industrie zu legen. Auch am Aufbau öffentlicher Einrichtungen hatten sie nur ein geringes Interesse, lebten sie auf den Plantagen doch weitgehend unabhängig und wirtschaftlich selbständig. Charlestons Straßen blieben unge-pflastert, im Frühjahr versank die Stadt im Schlamm. Gesundheitswesen,  Abfallbeseitigung, Armenpflege blieben unentwickelt. Auch das Bildungswesen hinkte hinter dem des Nordens her, ein Rückstand, den die Stadt bis heute nicht ganz autholen konnte. Dafür blühten Unterhaltung und schöne Künste. Bälle und Bankette lösten einander während der Herbstmonate ab. In vier Theatern wurden zeitgenössische Stücke und Shakespeare aufgeführt. Die Musikgesellschaft “St. Cecilia Society” gab Konzerte und spielte zum Tanz auf. Doch Charlestons Kultur war eine importierte. Wandernde Theatertruppen aus dem Norden, Musik und Musiker wurden gleichermaßen eingekauft. Ein eeinheimische Kultur-produklion gab es kaum. In Boston wurden zwischen 1743 und 1760 nicht weniger als 1321 Bücher, Broschüren und Traktate gedruckt – in Charleston ganze zwölf.

... eine Straße weiter steht ein nagelneuer Mercedes vor der Tür
... eine Straße weiter steht ein nagelneuer Mercedes vor der Tür

Die weiße Bevölkerung lebte in ständiger Furcht vor Aufständen und Rebellionen. Die Gesetze, mit denen die Rechte der Schwarzen geregelt wurden, stellten nichts anderes als den Versuch dar, die schwarze Bevölkerung, ob frei oder unfrei, unter Kontrolle zu halten. Schwarze lesen und schreiben zu lehren, war bei strenger Strafe verboten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann die weiße Gesellschaft die Schwarzen systematisch zu christianisieren. Die Kirchen waren weit über den Bürgerkrieg hinaus die einzigen Einrichtungen in der Hand der Schwarzen. Als Gemeinde-, Organisations- und Aktionszentren bildeten sie die Basis für den Kampf um die Gleichberechtigung der schwarzen Amerikanerinnen und Amerikaner in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts.

Sozialbausiedlung (direkt hinter mir liegt ein großes öffentliches Schwimmbad)
Sozialbausiedlung (direkt hinter mir liegt ein großes öffentliches Schwimmbad)