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14.06.2011 Charleston: von Höhen und Tiefen

 

Es gibt sie, diese Tage, an dehnen man sich unweigerlich fragt: warum bin ich heute bloß aufgestanden? Im Bett wäre mir vielleicht dieser ganze Schlamassel erspart geblieben!

Unsere Pechsträne beginnt eigentlich schon am gestrigen Abend. Wir saßen mit Freunden bei Wein, Bier und Cola im Cockpit als sich Kolja zu mir setzte und mir ins Ohr flüsterte, dass etwas mit seinem Computer nicht stimme: beim booten kämen merkwürdige Fehlermeldungen. Ich beruhigte Ihn und versprach gleich als erstes am nächsten Morgen mir das Problem anzuschauen. Gesagt, getan: mit dem ersten starken Kaffee um 7:00 Uhr kümmere ich mich um sein „Sorgenkind“ und  stelle fest, dass er sich einen bösen Virus eingefangen, der die Kontrolle über seinen Rechner übernommen hat. Es sollten noch zwei Tage vergehen bis ich den Virus von allen befallenen Dateien entfernt haben würde. Ich bin noch mit dem Computer beschäftigt als die Pacific High durch einen leichten Schlag erzittert. Ein  knirschendes Geräusch vom Bug des Schiffes lässt nichts Gutes erahnen. Ich springe an Deck und sehe ein kleines Motorboot, dass beim Manövrieren im Hafen gegen den Bug des Steuerbordrumpfes gestoßen ist. Äußerlich wohl recht hektisch und aufgelöst ermahne ich mich innerlich: „… brüll nicht gleich rum, und schau nicht gar so grimmig!“. Den beiden Insassen des Motorbootes kann ich ihr schlechtes Gewissen gleich ansehen. Sie sind Anfänger, dies ihr erstes Boot und in Hektik geraten… kann passieren, niemand wird als perfekter Kapitän geboren. Sie betonen zig-mal wie peinlich und Leid ihnen ihr Missgeschick wäre und das sie selbstverständlich für den Schaden aufkommen werden. Wir tauschten unsere Adressen aus und die beiden fahren, verunsichert aber auch erleichtert, ihrem nächsten Reiseziel entgegen. Natürlich sind wir verärgert, welcher Bootseigner freut sich schon über einen tiefen Kratzer an seinem Boot. Auf der anderen Seite musste so etwas irgendwann einmal passieren: wir sind jetzt über zwei Jahre und rund 14000sm unterwegs und hatten bisher immer Glück und keine Schäden an unsere Pacific High zu verzeichnen. Auf den Schreck bereitet Anita uns einen zweiten leckeren Cappuccino zu und ich rufe währenddessen beim Zoll an um unsere „Cruising License“ für die USA zu verlängern. Nach unserem Desaster letztes Jahr bei der Einreise in die USA glaube ich Naivling diesmal leichtes Spiel zu haben. Auch der Officer von der Coast Guard, bei dem wir vor wenigen Tagen eingecheckt hatten meinte: „No Problem“, wir waren ja vier Monate außerhalb der USA. Er habe nur leider keinen Computerzugang um unser Permit zu verlängern, könne uns aber die direkte Durchwahl zum Custom Officer geben. Der Custom Officer sieht die Sache leider völlig anders: wir müssen nach Ablauf unserer License die USA verlassen, in einem anderen Staat einklarieren und können erst dann wieder einklarieren und eine neue Cruising License beantragen. Das macht doch keinen Sinn! Wir waren vier Monate in einem anderen Staat und wer kann schon ein Jahr im Voraus seinen Abreisetag genau vorhersagen!? Leider greifen meine Argumente nicht, der Mann betet stur seine Gesetzestexte runter. Es kostet mich all meine Überzeugungskraft mich nicht am Telefon abwimmeln zu lassen und ihn zu einem persönlichen Gespräch zu überreden. Anita und ich trinken hastig unseren Kaffee aus (der gute Mann geht bald in seine wohl verdiente Mittagspause) und schwingen uns auf die Fahrräder um bei 33Grad im Schatten zum Zoll zu radeln. Dieser ist natürlich mitten im Containerhafen (= Sperrgebiet), kein Mensch scheint zu wissen wo das Zollgebäude ist. Selbst der Pförtner am Zollfreigelände schickt uns erst in eine völlig falsche Richtung um sich dann später doch daran zu erinnern das hier das Zollgebäude ist und er unseren Officer nur anzurufen braucht. Da wir nicht auf das Zollgelände dürfen muss sich dieser zu uns hinausbequemen, in die heiße Mittagssonne. Sichtlich verärgert seinen klimatisierten Arbeitsplatz verlassen zu müssen belehrt er uns weiterhin über die Gesetzeslage. Anita lässt all Ihren Charme spielen, erinnert ihn höflich daran, dass wir ja vier Monate im Ausland waren und das in der Karibik jetzt Hurrikane Saison sei und bis Kanada gut 2000sm zu segeln. Keine Chance: das täte ihm ja furchtbar Leid aber das wäre nicht sein Problem. Geknickt und niedergeschlagen radeln wir durch die Mittagshitze zurück zur Pacific High und gönnen uns eine eiskalte Cola. Unsere tollen Kinder haben derweil fleißig für die Schule gelernt und versuchen uns aufzumuntern. Kolja und ich spielen erst einmal eine Runde Fußball auf dem nahegelegenen Bolzplatz Helena und Anita radeln in die Innenstadt von Charleston, ein wenig Shoppen, die schöne Altstadt anschauen und etwas Kühles trinken. Derweil waschen Kolja und ich mit viel Wasser die Pacific High, schleckern eine riesige Portion Eis und spielen einige Runden UNO. Da kommt mir die Idee einfach mal beim Custom in New York anzurufen, dort habe wir letztes Jahr einklariert und unser Cruising License erhalten. Schon die Sekretärin am Telefon ist sehr freundlich und begrüßt mich mit einigen deutschen Sätzen die Sie in der Schule gelernt hat. Der zuständige Custom Officer bestätigt die Gesetzeslage, findet sie genauso absurd wie wir und spricht nach kurzem Überlegen die erlösenden Sätze: „Come to New York and we’ll find a solution for you“. Ich bin immer noch verunsichert und frage nach ob ich mich denn darauf verlassen könne… „You have my word, man!“ dröhnt seine sonore Stimme aus meinem Headset und mir fällt ein Stein vom Herzen und ich bedanke mich überschwänglich.

Anita und Helena sind derweil von ihrer Tour zurück und wir besuchen unsere Docknachbarn Ingrid und Dayton von der „Nina“ einem klassischen 70 Fuß Schooner . Trotz seiner Einfachheit, keine Winchen, Dieselofen zum Kochen, schlägt uns dieser 25 Jahre alten Holzseglers in seinen Bann! Wir lauschen gespannt den Erklärungen und Geschichten der beiden bis um 19:00 Uhr Anton und Natalia von der „Jewel“ zu unserer Verabredung erscheinen.

Wir nehmen noch einen Aperitif an Bord der Pacific High und laufen dann zu Fuß zum „Fleet Landing“, einem Fischrestaurant am Hafen. Es wird wieder einmal ein amüsanter Abend mit den beiden und wir sind mit die letzten Gäste des Lokals als wir es gegen 23:00 Uhr verlassen. Auf dem Rückweg zeigen wir den beiden noch „unseren“ Supermarkt „Harris Teeter“ um Joghurt zu kaufen (wir sind in den USA: der Supermarkt hat rund um die Uhr 7 Tage die Woche geöffnet). Wir sind gerade dabei uns zu verabschieden als uns Bob, ein Mitarbeiter der Marina, uns anspricht ob er uns in seinem Auto zur Marina fahren kann. Welch eine höfliche Geste, was für ein netter Ausklang dieses langen Tages in Charleston der doch so verkorkst begonnen hatte!