Wir machten uns ziemlich früh auf den Weg. Da wir in der Parkgarage eines Regierungsgebäudes parkten, mussten wir Kofferraum und Motorhaube öffnen. Dafür kostet es nur 10,– USD. Die horrenden Parkgebühren erweisen sich als Ammenmärchen.
Für heute wurden einige zehntausend Menschen in Washington zur „Rally to Restore Sanity“ erwartet. Jon Stewart, einer der angesehensten politischen US-Komiker, rief auf zur „Demonstration zur Wiederherstellung der Vernunft.“ Und wir mittendrin! Die Demo wird nicht irgendwo abgehalten, sondern auf der National Mall in Washington D.C. Dort, wo Martin Luther King seine berühmte „I Have a Dream“ Rede hielt – und wo der erzkonservative TV-Moderator Glenn Beck im August Zentausende seiner Anhänger versammelte. Hauptrednerin war damals Sarah Palin. “Die nationale Debatte über die Probleme unseres Landes wird von den lauten Menschen dominiert”, sagte Stewart in seiner Show. Und das seien meist die mit den extremsten Meinungen auf beiden Seiten des politischen Spektrums: die Obama-ist-ein-Muslim-Schreier genauso wie die Bush-gleicht-Hitler-Fraktion. Es sei Zeit, dass die politische Mitte gehört werde.
Wir sind jedenfalls froh, daß wir in diese Demonstration gerieten und nicht in die vom August. Viele Demonstranten sind fantasievoll gekleidet, noch mehr halten Schilder mit den unterschiedlichsten Aussagen hoch. Die Veranstaltung ist trotz der Menschenmassen (215.000 – 250.000 Teilnehmer) friedlich und gerät zu einem Happening mit Rockkonzerten (unter anderem waren Sheryl Crow und Ozzy Osbourne dabei). Wir haben nach einer Weile genug von der Menschenmenge und verdrücken uns in die National Gallery of Art. Viele Highlights der Kunstgeschichte erwarteten uns hier wie Leonardo da Vinci’s „Ginevra“, ein Selbstporträt von Rembrandt, Augustus Saint-Gaudens „Diana of the Tower“, Edgar Degas Wachsstatue „Little Dancer Agend 14“ und „Der Denker“ von Auguste Rodin. Zudem wird in einer Sonderausstellung „The Chester Dale Collection“ gezeigt, eine Sammlung bemerkenswerter Gemälde (Picasso, Renoir, Cézanne, van Gogh, Matisse, Modigliani, Monet, Manet und viele mehr).
Anschließend wühlten wir uns wieder durch die Menschenmassen. Manchmal gab es kaum ein Weiterkommen, wir hatten nur Glück, daß wir in die entgegengesetzte Richtung wollten und je weiter wir kamen, desto ruhiger wurde es.
Unser Weg führte uns zum American Art Museum + National Portrait Gallery. Die beiden Museen sind in einem der ältesten Gebäude Washingtons untergebracht, 1836 als U.S. Patentamt erbaut. Neben einer sehenswerten Sammlung zeitgenössischer Kunst beherbergt es auch die einzig komplette Portraitsammlung aller US-Präsidenten. Auf den Schildern neben den Portraits gibt es viele Informationen dazu.
Anton war auch in Washington und wir trafen uns im Museum. Wir besuchten anschließend den Skulpturengarten mit einer Skulptur von Louise Bourgeois, die leider unlängst verstorben ist. Die riesigen bronzenen Spinnen waren ihr Markenzeichen.
Da die Museen um 17.30 Uhr schliessen, blieb uns für das Natural History und das American History Museum nur noch eine Stunde. Eigentlich eine Schande! Ein kurzer Rundumblick im Natural History Museum genügte, immerhin war Klaus mit den Kindern schon in New York im Natural History Museum. So hatten wir im American History Museum noch die Gelegenheit, den „Star-Spangled-Banner“ anzusehen.
Mittlerweile ist die Fahne knapp 200 Jahre alt und sieht schon ein wenig mitgenommen aus, ist aber fast vollständig erhalten. Und sie ist viel, viel größer als ich angenommen hatte. Die Frau, die das riesige Sternenbanner nähte, hat (außer Unsterblichkeit) als Entgelt 405,– USD erhalten. Es waren noch andere interessante Dinge ausgestellt, wie z.B. ein Care-Paket.
Abschließend gingen wir mit Anton im abendlichen Washington zum Essen. Es war ein letzter schöner Abend und wir genossen seine Gesellschaft.
Die Stadt leerte sich langsam wieder und es erstaunte uns, wie sauber die Stadt sich uns präsentierte nach diesen vielen hunderttausenden von Menschen. Nur noch an den übervollen Mülleimern konnte man erkennen, was sich tagsüber hier abgespielt hatte.